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Nachlass von Apotheker F. W. Sertürner

Faszinierende Schriften des Morphin-Entdeckers

Den Namen Friedrich Wilhelm Adam Sertürner (1783 bis 1841) kennen alle Apotheker: Vor mehr als 200 Jahren, genauer 1804, entdeckte der Apothekerlehrling im Labor der Hof-Apotheke Paderborn das erste Alkaloid: das Morphin.

Sertürners Nachkommen, Dr. Malte und Wernhera Peters, Freiburg und Hameln, hüteten - wie schon ihre Vorfahren - eine schwere Holztruhe mit dem schriftlichen Nachlass ihres Vorfahren Friedrich W. Sertürner. Sie wurde jeweils an den Erstgeborenen der nächsten Generation vererbt.

2011 Jahr fassten die Geschwister den schweren Entschluss, die wissenschaftlich unschätzbar wertvollen Archivalien an eine öffentliche Institution zu geben und kontaktierten so auch das Deutsche Apotheken-Museum. Eine spannende Erwerbsgeschichte begann. Ihr glücklicher Ausgang wurde bei einer Pressekonferenz am 15. Mai 2012 im Deutschen Apotheken-Museum bekannt gegeben.

Im selben Jahr kam der schriftliche Nachlass von Friedrich W. Sertürne als einer der spektakulärsten Neuzugänge der letzten Jahrzehnte in den Bestand des Deutschen Apotheken-Museums. 

Projektziele für den Nachlass von F. W. Sertürner

Im Museumsalltag gestalten sich wissenschaftliche Bearbeitungen komplexer Fragestellungen in der Regel schon aus Zeitgründen schwierig. Ziel des Deutschen Apotheken-Museums war es daher von Anfang an, von Museumsseite aus alle Erfordernisse für die Zusammenarbeit mit universitären Institutionen aus dem Bereich Naturwissenschaftsgeschichte für die Fragestellungen rund um den Sertürner-Nachlass optimal aufbereitet zur Verfügung zu stellen.

In den Jahren 2012-2016 wurde der gesamte Nachlass in mehreren Teilschritten restauratorisch bearbeitet und damit die Weichen für die langfristige Erhaltung und Nutzung gestellt. Viele Archivalien waren durch Faltung verformt und liessen eine objektschonende dauerhafte Lagerung sowie wissenschaftliche Erschließung so nur bedingt zu. In speziellen Verfahren wurden sie geglättet. Auch angegriffene Objekte, etwa einige der losen Skizzenblätter, wurden gesichert und gefestigt. [>> Einblick in die Restaurierung >>]

Parallel dazu erfolgte im Deutschen Apotheken-Museum die Inventarisierung und Fotodokumentation des Konvolutes sowie die Transkription der Korrespondenz Sertürners. Die Sichtung der ungeordneten und schwer lesbaren Manuskripte ergab bereits zahlreiche Hinweise auf noch unveröffentlichtes Material, das interessante neue Einblicke in die Forschungsarbeit Sertürners erwarten lässt.

Um die originalen Quellen zu schonen und gleichzeitig die wissenschaftliche Bearbeitung des Nachlasses zu ermöglichen, sind die Schriften im Jahr 2017 von einer Fachfirma digitalisiert worden. Ziel ist es, die Korrespondenzen, Urkunden, Manuskripte und Zeichnungen aus dem Nachlass in den folgenden Jahren als digitales Archiv im Internet online bereitzustellen und damit für die Forschung und die interessierte Öffentlichkeit auf einfache Weise zugänglich zu machen. Als Fernziel ist angedacht, Sertürner-Archivalien anderer Archive ebenfalls zu digitalisieren und auf einer gemeinsamen Online-Plattform als ganzes recherchierbar zu machen.

Wünschenswert wäre es, die unedierten und unpublizierten Manuskripte im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsarbeiten der Pharmazie- und Naturwissenschaftsgeschichte aufzuarbeiten. Hierfür besteht bereits Kontakt zum Leiter des Instituts für Geschichte der Pharmazie der Philipps-Universität Marburg, Professor Christoph Friedrich.

Zusammensetzung des Nachlasses

Den Nachlass Sertürners bilden auf der einen Seite Zeugnisse, Diplome und wissenschaftliche Korrespondenzen ebenso wie private Unterlagen. Aus seiner Ausbildungszeit stammt unter anderem das 1806 vom Paderborner Hofapotheker Cramer ausgestellte Zeugnis zur Lehr- und Gehilfenzeit. In dessen Labor hatte Sertürner seine bahnbrechenden Versuche begonnen. Für den weiteren wissenschaftlichen Werdegang stehen die Doktorurkunde der Universität Jena (1817) sowie zehn Diplome und Mitgliedsurkunden wissenschaftlicher Gesellschaften ganz Europas. Einige dieser Diplome, darunter der „Societät der gesamten Mineralogie zu Jena“ unter dem Vorsitz von Johann Wolfgang von Goethe aus dem Jahr 1817, galten bis jetzt als verschollen.

Herausragendes Dokument für die Anerkennung seiner Entdeckung ist das Schreiben des renommierten „Institut de France - Académie Royale des Sciences“ in Paris vom 22. Juni 1831. Damit erkennt ihm das Institut nicht nur die Entdeckung der alkalischen Eigenschaft des Morphins zu, sondern würdigt auch seine Leistung, den Weg für weitere medizinische Entdeckungen bereitet zu haben. Sertürners Kontakt mit wissenschaftlichen Koryphäen seiner Zeit bezeugt unter anderem ein Brief des Berliner Mediziners Christoph Wilhelm Hufeland (1762 bis 1836), in dessen „Journal der practischen Heilkunde“ Sertürner einige Schriften veröffentlichte.

Vor allem in seinen späten Jahren versuchte der rührige Apotheker, seine Forschungen in anderen Gebieten, etwa im Geschützwesen, bekannt zu machen. Das dokumentieren Briefentwürfe an hochstehende Persönlichkeiten wie Staatsminister, Generäle und Fürsten, denen er sich empfahl.

Zu den privaten Schriften zählen zwei Briefe Sertürners an seine Verlobte Eleonore von Rettberg und zahlreiche Briefe aus seinem familiären Umfeld. Von seiner Tätigkeit als Apotheker zeugen Apothekenabrechnungen und Rezepte.

Mehr als 400 Seiten Manuskripte

Der zweite Teil des Nachlasses besteht aus mehr als 400 Seiten wissenschaftlicher Aufzeichnungen in Form von Entwürfen oder Reinschriften, Skizzen, zeichnerischen Druckvorlagen sowie zur Veröffentlichung bestimmte Druckfahnen mit handschriftlichen Korrekturen. Hierin befasste er sich unter anderem mit vielfältigen Themen der Physik und Chemie. Zwei Reinschrift-Manuskripte können einer Schrift Sertürners zugeordnet werden, die seit langem im Besitz des Apotheken-Museums ist (Inv.-Nr. VII A 230). Das nunmehr vollständige Konvolut bildet eine dreiteilige Abhandlung „… über einige, physikalisch chemische Gegenstände“.

Schließlich enthielt die „Schatztruhe“ auch zwei bislang unbekannte, goldgerahmte Porträtminiaturen Sertürners und seiner Gattin. Sie sind in typischer Biedermeier-Manier als Gouache-Malerei auf Elfenbein ausgeführt. Als Künstler signierte der in Hamburg nachgewiesene Portraitmaler C. F. Overmeyer.

Auch die Schatztruhe selbst darf nicht unerwähnt bleiben. Die kastenförmige Truhe von 53,4 cm Breite, 33 cm Höhe und 36,5 cm Tiefe wird mit einem einfachen Scharnierdeckel geschlossen. Sie ist aus schwerem Eichenholz gefertigt und mit umlaufenden Eisen-bändern beschlagen. Durch ovale Griffe an den Schmalseiten ist sie gut transportabel. Sie kann mit einem einfachen Schließmechanismus gesperrt werden.

Spannende Erwerbsgeschichte

Wie kam es zu dieser spektakulären Neuerwerbung? Die Erwerbsgeschichte verlief von der ersten E-Mail der Nachkommen im Januar 2011 an dynamisch, recht papier- und arbeitsintensiv und außerordentlich spannend. Der Förderverein stand von Anfang an für die Finanzierung des Alleinankaufs bereit. Gleichzeitig war klar, dass ein solches Angebot die Mittel des Fördervereins und der Stiftung Deutsches Apotheken-Museum bei weitem übersteigen würde.

Bis zur ersten Sichtung in Hameln im Februar 2011 – und erst recht danach – wurden von Museumsdirektorin Dr. Elisabeth Huwer viele Telefonate geführt, um Mitstreiter für die Finanzierung eines Ankaufs für die Sammlungen des Deutschen Apotheken-Museums zu gewinnen. Parallel begann die Suche nach potenziellen Miteignern, um das Konvolut notfalls in das Eigentum mehrerer öffentlicher Institutionen zu bringen, aber an einem Ort zu bewahren. Dieses Vorgehen hätte den Vorteil geboten, dass die Handschriften für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich bleiben und das Konvolut nicht bei einer Auktion auseinandergerissen wird. Hierfür stand dankenswerterweise Dr. Michael Kessler, Leiter des Pharmazie-Historischen Museums in Basel, bereit.

Die ebenfalls hinzugezogene Landesstelle für Museumsbetreuung, Stuttgart, vermittelte zu einer Schlüsselinstitution im Bereich der Kulturförderung, der Kulturstiftung der Länder in Berlin. Im Juli 2011 reichte das Heidelberger Museum dort einen ausführlich begründeten Antrag auf Unterstützung des Ankaufs ein.

Bis zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine neutrale Schätzung, auf deren Basis die Finanzierung geplant werden konnte. Es musste daher ein für Anbieter wie Interessent gleichermaßen überzeugender Fachgutachter gefunden und die Kostenübernahme hierfür geklärt werden. Die Kulturstiftung der Länder empfahl schließlich einen der renommiertesten Gutachter für Handschriften, den Leiter der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek i.R., Berlin, Prof. Dr. Tilo Brandis. Im November 2011 lag sein Gutachten vor und damit nicht nur eine wissenschaftliche Beurteilung, sondern eine neutrale Schätzung für den von ihm als „faszinierend“ charakterisierten Nachlass.

Die Verhandlungen kamen nun in die heiße Phase. Anfang Dezember 2011 hatte der Vorstand der Lesmüller-Stiftung, München, sein Wohlwollen signalisiert und die Kulturstiftung der Länder hatte inzwischen die Maximalförderung, das ist mehr als ein Drittel des Schätzpreises, in Aussicht gestellt. Nun konnte das Deutsche Apotheken-Museum die „Schatztruhe“ alleine kaufen. Die Einigung wurde Ende Dezember erzielt und der Vertrag schließlich Anfang Januar 2012 erfüllt.

Der „Schatztruhen-Transfer“ ins Museum fand im Februar 2012 statt. Dieser spektakulärste Zugang in den letzten Jahrzehnten der Museumsgeschichte wurde bei einer Pressekonferenz im Museum der Öffentlichkeit vorgestellt.

Text: Elisabeth Huwer, Claudia Sachße, Deutsches Apotheken-Museum