1997 und 2005 wurden im Auktionshandel mehrere Holzstandgefäße mit Wappenzier für den Bestand des Deutschen Apotheken-Museums erworben. Sie wurden der Zeit um 1500 zugeschrieben mit wahrscheinlicher Herkunft aus Österreich oder Süddeutschland. Nach weiteren Neuzugängen aus einer Schenkung wurden einige der Gefäße naturwissenschaftlich untersucht.
Gotische Apothekenstandgefäße aus Holz sind eine Rarität. Nördlich der Alpen waren sie lange nur vereinzelt belegt. Bekannt sind vor allem Gefäße aus Krems (Österreich) aus dem frühen 16. Jh., die aus der ehemaligen Mohren-Apotheke bzw. Alten Adler-Apotheke Krems stammen. Erhalten ist daraus ein Bestand von 14 Dosen, die sich seit den 1930er-Jahren teils in den Sammlungen des Museums für Angewandte Kunst in Wien (MAK) sowie teils im Museum der Stadt Krems befinden (Kühnel 1967, ders. 1991; MAK 2022). Darüber hinaus ist dieser Typus der Wappenbüchsen vielfach aus Bildquellen in verschiedenen Hand- und Druckschriften des 15. und 16. Jhs. bekannt (Abb. 2-3).
Als von 1997 an mehrere Objekte dieser Gefäßgattung mit vergleichbarer Zuordnung in den Auktionshandel kamen, erregte dies einiges Aufsehen in den pharmaziehistorisch orientierten Sammlungen. Nachforschungen zerstreuten zunächst die Zweifel an der Echtheit der Stücke, weshalb auch das Deutsche Apotheken-Museum (DAM) einige Exemplare ankaufte.
2013 erhielt das DAM ein umfangreiches Ensemble von weiteren 17 Standgefäßen dieser Art als Schenkung. Der nunmehr vorhandene Bestand von 21 Gefäßen war Grund genug, diese Gruppe näher in den Focus zu nehmen (Abb. 1). Bei Begutachtung der Farbfassungen und Oberflächenerhaltung, der Schrift und heraldischen Darstellungen entstand jedoch erneut der Verdacht, dass es sich nicht um Werke des frühen 16. Jahrhunderts handelt, sondern um moderne Fälschungen. Naturwissenschaftliche Materialanalysen ebenso wie die Begutachtung von Schrift und Heraldik sollten den Verdacht klären – und bestätigten diesen schließlich.
Form und Gestaltung der Gefäße
Die Gefäße sind in Hyperboloid-Form gearbeitet und im unteren Drittel eingezogen mit mehr oder weniger stark ausladendem Fuß und Deckelrand. Die Gefäße bilden zwei Hauptserien, die sich in Details leicht unterscheiden (Abb. 1). Dabei sind die kleinen Gefäße eher gedrungen, die großen eher schlank mit teils stärker ausladendem Oberteil. Die Einspannlöcher des Drechselvorganges sind am Boden teils deutlich sichtbar. Die Innenwandung erscheint im oberen Bereich jeweils relativ glatt, der Bereich des Innenbodens jedoch ist auffällig grob in der Oberflächenstruktur und wirkt unbehandelt. Die Innenwandung zeigt nur in Einzelfällen geringe mögliche Inhaltsreste. Die Deckel schließen relativ dicht, es sind kaum Verformungen festzustellen.
Unter dem Rand liegt ein weißes Schriftband mit schwarzer Umrandung. Darunter liegen jeweils Wappendarstellungen. Wandung und Deckel sind ohne weiter Verzierung in Rot oder Grün gefasst (die kleineren Gefäße sind ausschließlich rot). Neben Dosen mit roter und grüner Farbfassung, wie sie in der Sammlung des DAM vorliegen, sind weitere Gefäße dieses Typs auch mit gelblich-beigem Farbgrund bekannt (Schloss Tirol 2022).
Die Beschriftung ist in Schwarz ausgeführt, wobei der erste Buchstabe oder das ganze erste Wortelement in Rot gesetzt sind. Die Wappenfelder sind schwarz umrandet oder weiß-schwarz konturiert, direkt an das Schriftfeld anschließend oder mit geringem Abstand dazu.
Die Gefäße tragen einen groben wachsartigen Überzug mit bräunlicher Eigenfärbung und deutlichen Pinselstrichen. Dieser Überzug ist auch an der Innenwandung vorhanden.
14C Datierung
Der erste Weg, die Frage der Echtheit zu prüfen, führte über die Datierung der verwendeten Hölzer. Hierfür wurden 2014 an zwei Gefäßen Holzproben zur Radiokarbondatierung (14C) entnommen (Inv.-Nr. II G 295, II G 657, Abb. 4-5). Die 14C-Analysen, durchgeführt im Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie gGmbH Mannheim, lieferten die Schlagdaten: circa 1958 und 1968! Das widerlegte ebenso wie nachweisbare Uran-Einlagerungen im Holz zweifelsfrei das angebliche Alter der „gotischen“ Gefäße. Dieses auch als „Bomben 14C“ benannte spezifische Isotopenspektrum resultiert aus Atomwaffentests der 1950er-60er Jahre. Ein dadurch angereicherter Gehalt an Kohlenstoff-14 in der Atmosphäre lässt sich weltweit in organischen Materialien nachweisen.
Analyse der Farbpigmente
Der zweite Weg führte über die Analyse der für die Bemalung verwendeten Farbpigmente. Kooperation bestand hier mit der Labor für Archäometrie und Konservierungswissenschaften der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart unter der Leitung von Prof. Christoph Krekel. An zwei weiteren Gefäßen mit einem breiten Farbspektrum (Inv.-Nr. II G 294, 746, Abb. 6) wurden hierfür Proben der Farbschichten entnommen und im Rahmen einer Bachelorarbeit im Studiengang „Konservierung und Restaurierung von Gemälden und gefassten Skulpturen“ 2020 analysiert und eingeordnet (Opitz 2020). Die wesentlichen Ergebnisse sind hier zusammengefasst.
Die beiden Gefäße wurden mittels bildgebender, messtechnischer und kunsttechnologischer Verfahren untersucht. UV- und Infrarot-Licht sowie Mikroskopie lieferten als nicht-invasive Verfahren Informationen zur Oberflächen- und Farbstruktur sowie zum Malschichtaufbau. Mittels Röntgenfluoreszensanalyse (RFA) konnten bestimmte, in den Fassungs- und Grundierungsschichten vorliegende Elemente detektiert werden. Das Rasterelektronenmikroskop (REM) erlaubte eine Bestimmung der verwendeten Pigmente und den quellenkundlichen Vergleich zu Pigmentvorkommen und deren Verarbeitung im 16. Jh.
Das Erscheinungsbild des Holzes – beide Gefäße sind aus Lindenholz gefertigt (Opitz 2020, 21) – ist recht gut und widerspricht damit dem scheinbar schlechten Zustand der aufliegenden Farbschichten. Beide Gefäße zeigen einen zweischichten Aufbau in der auf Beinweiß basierenden Grundierung: die untere mit grober Körnung und Dolomitanteil, die obere mit feinerer Körnung und Steinkreide (Opitz 2020, 24f.). Eine Vorleimung der Holzschicht war nicht zu ermitteln. Ausbrüche bei II G 294 deuten eine zweischichtige Bemalung an.
Der Aufbau von Grundierung und Malschicht mit Füllstoffen und Pigmentteilchen in einem proteinhaltigen Bindemittelsystem entspricht durchaus dem klassischen Aufbau von Tafelgemälden und gefassten Skulpturen der vermeintlichen Zeitstufe.
Die Zusammensetzung der Pigmente der Farbschichten lässt denn auch auf einen relativ hohen Sachverstand bezüglich der im späten Mittelalter verwendeten Pigmente schließen – oder vielmehr auf tiefe Kenntnis der einschlägigen kunsttechnologischen Fachliteratur.
So erscheint der blaue Farbauftrag bei II G 294 authentisch: Die Malschicht enthält Azurit, ein typisches Blaupigment im 16. Jh. (Opitz 2020, 33f.). Die Beimischung von Beinweiß diente wohl zur Streckung oder Aufhellung.
Auch wurde für die gelben Farbbereiche der Malschichten beider Gefäße Blei-Zinn-Gelb verwendet. Pigmentproben aus der Tafelmalerei belegen dieses Gelb-Pigment als vorherrschend zwischen 1300 und 1750. Danach ist es erst 1941 wieder bekannt und sogar erst nach 1980 über den Handel zu beziehen. Die Anfertigung der Malschichten – bzw. der ganzen Objekte – kann also mit großer Wahrscheinlichkeit erst nach 1980 erfolgt sein.
Als weitere Pigmente wurden in den Malschichten Beinschwarz und Umbra, Zinnober, roter und gelber Ocker und grüne Erdtöne erfasst.
In zwei Proben der Grundierungsschichten von Gefäß II G 294 wurde neben dem üblichen Beinweiß auch Titandioxid detektiert – und zwar in reiner Form. Erst seit dem 19. Jh. konnte Titanweiß in der hier vorliegenden reinen Form synthetisch hergestellt werden und kam nach 1916 auf den Markt. Fraglich ist nur, ob das Titandioxid aus Unkenntnis bewusst verwendet wurde – was eher unwahrscheinlich ist –, oder ob es sich hier um zufällige, unbeabsichtigte Einschlüsse von Material aus der Werkstattumgebung handelt, das eigentlich für andere Zwecke diente.
Bei Gefäß II G 746 wiederum gelang in beiden Grundierungsschichten der Nachweis von Bariumsulfat. Natürliches Bariumsulfat wurde sehr selten ab dem späten Mittelalter als Füllstoff in der Malerei verwendet. Erst nach seiner Synthetisierung Ende des 18. Jh. etablierte es sich als Farbpigment Blanc fixe.
Die REM-Analyse ergab schließlich an Gefäß II G 294 eine Ausblühung aus Kaliumchlorid in der Grundierung. Diese kann ein mögliches Zeichen für eine künstliche Alterung sein – etwa durch mehrfaches Bestreichen und Trocknen des Holzes mit Salzsäure. Für ein mehrfaches Erhitzen und Erkalten zu diesem Zweck sprechen auch im REM sichtbare Lufteinschlüsse und die Schüsselbildung von einzelnen Farbinseln in der Malschicht.
Mit diesen Ergebnissen bekräftigen die Pigmentanalysen die bereits durch die 14C-Datierung gewonnene Erkenntnis. Sie lassen zudem auf einen Anfertigungszeitraum in den 1980er bis frühen 1990er Jahren schließen.
Schrift und Heraldik
Die Einordnung der Aufschriften und Wappendarstellungen erfolgte durch Herrn Dr. Harald Drös von der Akademie der Wissenschaften in Heidelberg.
Bei dem an gotische Minuskeln erinnernden Erscheinungsbild der Schrift lassen sich demnach zwei Typen und damit möglicherweise zwei Schreiber und unterschiedliche verwendete Vorlagen unterscheiden. Während der eine Schrifttyp der charakteristischen spätgotischen Textura zumindest nahe kommt, weicht der zweite in wesentlichen Elementen davon ab.
Die erste Gruppe besteht aus wenigen Gefäßen, die alle der größeren Form angehören (u.a. II G 746, Abb. 7). Hier ist die Schriftausführung relativ sauber mit guter Nachahmung einiger spätgotischer Elemente wie Zierformen oder Schaftbrechungen. Doch einzelne Buchstaben, wie etwas das „d“, fallen auf durch eine einheitlich fehlerhafte Ausführung.
In der zweiten Gruppe bestehen grundsätzlich Proportionen und Einzelformen der Buchstaben, die für die angesetzte Zeit undenkbar wären. Sie sind ungelenk und zeigen ein völliges Unverständnis des Schreibers von der gotischen Minuskel auf. Hierzu gehören alle kleinen Gefäße (u.a. II G 294, Abb. 8) und einige der großen Gefäße.
Abschließend ist auf die Wappendarstellungen der Gefäße einzugehen. Das Aufbringen von gleichförmigen Wappen ist auf Gefäßserien als Eigner-Zeichen bspw. von Hof- oder Klosterapotheken vielfach belegt, meist ergänzt durch die Aufschrift der Gefäßinhalte. Ganz anders muss jedoch die Verwendung unterschiedlichster Wappenmotive in einer Gefäßgruppe gedeutet werden, wie sie etwa bei den Kremser Gefäßen vorliegen sowie in vielen spätgotischen Bildquellen dargestellt sind (Abb. 2-3). Hier dienten die oft einfachen symbolhaften Wappenmotive wohl vielmehr dem Apotheker als mnemotechnisches Hilfsmittel zur Auffindung der gesuchten Arzneistoffe, zumal die Bildquellen oft Gefäße ohne Aufschriften der Gefäßinhalte zeigen (Engels 1981).
Wie diese Vorbilder tragen auch die „gotischen“ Dosen unterschiedlichste Wappenmotive. Doch bei näherer Prüfung der Motive und Formen finden sich viele in einschlägigen Handbüchern zur Heraldik (Neubecker 1977). Nachweisbar ist die Übernahme von Wappen aus verschiedenen Zeiten und Regionen, die zum Teil zu dieser Zeit noch gar nicht bekannt waren bzw. nie für diesen Zweck entfremdet worden wären (Abb. 9). Die Wappenvorlagen wurden teils verändert – in der Gruppierung, Farbgebung und/oder Wappenform.
Wie schon für die Schrift scheinen auch bei den Wappen unterschiedliche Quellen als Vorlagen gedient zu haben, die in relativer Unkenntnis spätmittelalterlicher Wappentypen auch formal falsch umgesetzt wurden – was vor allem für die Gefäße mit Schrifttyp 2 gilt.
Letztlich bekräftigen also auch Schrift und Wappendarstellungen in der Gesamtschau aller Gefäße dieser Gattung die Fälschungsvermutung.
Rückverfolgung mit bedingtem Ergebnis
Eine umfangreiche Recherche im Auktionshandel ergab, dass von 1997 bis 2016 nahezu 50 solcher Dosen angeboten wurden – oft einzeln oder zu wenigen Stücken, einige über die Jahre wiederholt. Angesichts der bisherigen Seltenheit solcher Objekte eine erstaunliche Menge! Nur wenige Gefäße dieser Reihe befinden sich heute unserer Kenntnis nach in weiteren öffentlichen Sammlungen, die große Mehrheit ist wohl in Privatbesitz.
2014 stellte die Deutsche Apotheken Museum-Stiftung Strafanzeige wegen Betrugs, worauf die Abteilung „Kunst und Kulturgutschutz“ des Landeskriminalamtes Stuttgart die Angelegenheit engagiert verfolgte. Die Einlieferung aller fraglichen im Auktionshandel nachweisbaren Objekte ließ sich auf einen inzwischen verstorbenen privaten Sammler in Österreich zurückverfolgen. Die Ermittlungen mussten letztlich eingestellt werden, ohne den Vorgang vollständig klären und den Urheber dieser Gefäße ermitteln zu können.
Als Vorbilder für dieses – anfangs wohl zu Recht als lukrativ angesehene – Fälschungsprojekt sind sicher die genannten spätmittelalterlichen Standgefäße der Mohrenapotheke Krems zu sehen. Das MAK in Wien und das Museum Krems erlaubten es dem DAM, die Gefäße vor Ort zu begutachten. Deren Echtheit ist nach Begutachtung durch Prof. Christoph Krekel zweifelsfrei zu bestätigen.
Die 21 Standgefäße im DAM waren einst hochpreisige Erwerbungen für das Museum bzw. für die Vorbesitzer. Die Tatsache, dass es sich um Fälschungen handelt, schmerzt.
Als wissenschaftliche Einrichtung sah sich das DAM in der Pflicht, die Sache offensiv und mit den zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen und rechtlichen Mitteln anzugehen.
Die Objekte wurden mit hoher krimineller Energie produziert und auf dem Markt lanciert, was deutlich macht, dass auch dieser Bereich kunsthandwerklicher pharmaziehistorischer Objekte nicht von Fälschungen verschont bleibt.
Danksagung
Unser herzlicher Dank für hilfreiche Informationen, durchgeführte Analysen und die Bereitstellung der Ergebnisse gilt folgenden Personen und Institutionen:
Text: Claudia Sachße, Heidelberg (aktualisiert 02.03.2022)
Literatur/Quellen:
Engels 1981: Hans Joachim Engels, Wappen als Symbole pharmazeutischer Kaschierung auf Apotheken-Gefäßen des Mittelalters. Schweizer Archiv für Heraldik, Jahrbuch 95, 1981, 11-30.
Huwer 2016: Elisabeth Huwer, Das Deutsche Apotheken-Museum. Schätze aus zwei Jahrtausenden Kultur- und Pharmaziegeschichte. 3. Aufl. 2016, S. 185f.
Kühnel 1967: Harry Kühnel, Gotik in Österreich (1967) 295f.
Kühnel 1991: Harry Kühnel in: Kunst des Heilens. Landesausstellung Niederösterreich (1991) 552f. Kat. Nr. 12.115.
MAK 2022: Museum für Angewandte Kunst Wien, Sammlung online: sammlung.mak.at/sammlung_online (abgerufen „Krems / Holz“ am 9.2.2022)
Neubecker 1977: Ottfried Neubecker, Heraldik. Wappen – ihr Ursprung, Sinn und Wert. 1977, S. 116.
Opitz 2020: Josephine Opitz, Gotisch, oder gut vertuscht? Bildgebende, messtechnische und kunsttechnologische Untersuchungen zweier vermeintlich gotischer Apothekengefäße aus dem Deutschen Apotheken-Museum, Heidelberg. Bachelorthesis 2020 (unveröffentlicht). Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Studiengang Konservierung und Restaurierung von Gemälden und gefassten Skulpturen.
Schloss Tirol 2022: Landesmuseum Südtirol, www.schlosstirol.it/en/landesmuseum-suedtirol/149-apothekengefaess/ (abgerufen am 9.2.2022)