Apotheker versuchten zu allen Zeiten, ihren Berufsalltag durch technische Neuerungen zu verbessern und zu vereinfachen. So auch Apotheker Gustav Nithack mit seiner Waage aus dem Jahr 1899, die sich im Archiv des Deutschen Apotheken-Museums befindet.
Aufgabe eines Museums ist nicht nur, kunsthistorisch besonders hervorragende Erzeugnisse eines bekannten Meisters zu bewahren. Interessant sind in einem kultur- und technikhistorischen Museum wie dem Deutschen Apotheken-Museum auch solche Objekte, die Fortschritte, Neuerungen, Modeströmungen, aber auch Notlösungen oder Fehlentwicklungen für die Nachwelt sichtbar dokumentieren.
Ein Beispiel für Neuerungen, die im Zuge der Industrialisierung in der Apotheke Einzug hielten, ist die Nithack´sche Dispensierwaage. Sie ist aber auch – selbst wenn es schwer fällt, dieses Urteil so offen auszusprechen – ein Beleg für eine Fehlkonstruktion, die sich im Apothekenbetrieb nicht durchsetzte.
Unverzichtbare Arbeitsgeräte
Neben den Handelswaagen zum Abmessen großer Mengen waren in den Apotheken seit jeher auch recht empfindliche Waagen für kleinere Gewichtseinheiten notwendig. Dabei dominierte der Typ der zweiarmigen Waage in mannigfaltiger Ausprägung über die Jahrhunderte in allen pharmazeutischen Einsatzgebieten. Hand- und Standwaagen waren in jeder Apotheke in mehrfacher Ausfertigung zu finden.
Bereits im 18., vor allem aber im 19. Jahrhundert gab es in Wechselwirkung mit der raschen Fortentwicklung der Wissenschaften regelrechte Entwicklungsschübe auf dem Gebiet der altbewährten Grundkonstruktion. Beispielsweise wurden die Waagebalken leichter und kürzer und die Konstruktion des veränderte sich.
Aber auch spezialisierte Einsatzgebiete regten den Tüftlergeist der Konstrukteure an. Dabei entstanden Innovationen, die den Waagenbau bis zum Zeitalter der Elektronik maßgeblich beeinflussten, wie die des Brückenbau-Ingenierurs Paul Bunge (1839 bis 1888). Er trug im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zur entscheidenden Verringerung der bis dahin nervenzehrend langen Wartezeiten bei, die durch das langsame Auspendeln der üblichen langen Waagenarme entstanden. Elemente aus dem Brückenbau berücksichtigend, konnte er eine Waage mit wesentlich verkürzten und dennoch stabilem Balken entwickeln, deren Hauptvorteil in der vergleichsweise kurzen Wägezeit lag.
Anderen Innovationen war kein solch großer Erfolg beschieden und sie gerieten gänzlich in Vergessenheit, so die Erfindung zur Vereinfachung der Pulverabmessung und -abfassung von Apotheker Gustav Nithack (gestorben 1913) aus Obernigk/Breslau. Er besaß ab 1878 die dortige Kronen-Apotheke und genoss im Apothekerstand großes Ansehen. Seit 1902 war Nithack Vorstandsmitglied des Deutschen Apothekervereins und daneben lange Jahre Vorsitzender des Schlesischen Apothekervereins. Er beschäftigte sich nicht nur vordringlich mit der Verbesserung der Arbeitssituation der Landapotheker, sondern auch mit der Vereinfachung des täglichen Arbeitsablaufes.
Text: Elisabeth Huwer, Deutsches Apotheken-Museum
Spezialmodell für die Rezeptur
Im Jahr 1891 meldete Nithack eine speziell für den Rezepturbereich vorgesehene Waage (Dispensierwaage) zum rationellen Abwiegen kleinerer Mengen abgabefertiger Arzneipulver zum Patent an. Die Waage wurde bald darauf von der Fabrik Winkler und Jenke in Breslau gefertigt.
Auch wenn seine Erfindung auf den ersten Blick nicht den vertrauten Anblick bietet, integriert sie alle charakteristischen Waagenteile. Die Waagsäule, der Balken und die kleinen Schalen sind jedoch mit einem Rundläuferprinzip kombiniert. Die Waagensäule kann nach und nach in Einzelschritten um ihre eigene Achse rotieren, wenn ein kleiner seitlich angebrachter Hebel von Hand bewegt wird. Dadurch bewegt sich der an der Säule befestigte zweiseitige Waagenarm zusammen mit der Säule um ein exakt berechnetes kleines Segment im Kreis weiter. Die leere Waagschale ragt – durch das Gewicht auf der gegenüberliegenden beschwerten Waagschale angehoben – nun durch eine der zehn Öffnungen auf der Oberseite hinaus und hebt dabei eine auf dieser Öffnung stehende Kapsel für Arzneipulver an. Wenn diese durch von Hand eingefülltes Pulver beschwert wird, sinkt die Waagschale bei Erreichen des gewünschten Gewichtes wieder unter die obere Deckplatte herab, wobei die Kapsel selbst auf der Öffnung zum Stehen kommt.
Jetzt ist ein Weiterdrehen bis zum nächsten Stopp möglich. Die Waagschale steigt durch die folgende Öffnung nach oben und so fort, bis auf allen zehn Öffnungen gefüllte Kapseln stehen.
In der Pharmazeutischen Zeitung von 1891 wird über die Erfindung – mit einer Schnittzeichnung (Abb. 2) – ebenso begeistert wie ein Jahr später über das verbesserte Nachfolgemodell, die „Neue Nithack´sche Waage“, berichtet.
„Diese Waage ermöglicht das schnelle Abwiegen gleich schwerer Mengen dadurch, dass Pulver, Thees usw. in schneller Aufeinanderfolge unmittelbar in die Kapsulaturen abgewogen werden... Somit bietet die Nithack´sche Dispensierwaage bei der Division von Pulvern und bei dem Abfassen [Portionieren] von Handverkaufsartikeln grosse Erleichterung und Zeitersparnis; namentlich ermöglicht sie dem Rezeptar ein schnelles, ruhiges und exaktes Arbeiten, indem sie viele zeitraubende Manipulationen beseitigt; ausserdem aber ... ersetzt sie durch ihre saubere und exakt gearbeitete Konstruktion die kleineren Handwaagen vollständig, indem durch sie Mengen von 1 cgrm bis 10 grm genau und schnell abgewogen werden können ...“.
Zeittypisch – die Industrialisierung war in vollem Gange – wird darauf abgehoben, dass einige Arbeitsschritte mittels dieser neuen Waage rationell aufeinander abfolgen können und dadurch bei Gewährleistung von Qualität und Präzision kostbare Arbeitszeit eingespart werden soll.
Tücken der Technik
„Die Nithack´sche Waage dürfte sich unstreitig bald der Beliebtheit der gesammten Apothekerkreise erfreuen.“ Diese 1891 getroffene Feststellung sollte sich trotz des guten Konstruktionsansatzes nicht bewahrheiten. In der Praxis setzte sich das Gerät nicht durch. Immerhin wurde die Waage mindestens acht Jahre lang hergestellt und weiterentwickelt. Bei dem in Abbildung 1 gezeigten Stück handelt es sich um einen wiederum „verbesserten“ Typ aus dem Jahr 1899.
Beim Betrieb klemmt und hakelt auch dieses Stück recht häufig und gereichte dem damaligen Apotheker dadurch wohl nicht zur Freude. Größere Mengen Pulver dürften auf dem Rezeptiertisch gelandet sein; von „schnellem, ruhigen und exakten Arbeiten“ kann jedenfalls keine Rede sein. In welcher Stückzahl die Waage produziert wurde, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Viele können es nicht gewesen sein, denn bislang ist dem Deutschen Apotheken-Museum nur diese eine Exemplar bekannt.
Literaturhinweis:
- Pharmazeutische Zeitung aus dem Jahr 1891, S. 201: Originalmittheilung vom Patentbureau Sack, Leipzig;
- Pharmazeutische Zeitung aus dem Jahr 1892, S. 293: "Nithack´s neue Dispensirwaage".
Biographisches zu Nithack:
Wilhelm Brachmann, Beiträge zur Apothekengeschichte Schlesiens, 1966, S. 156.
Text und Fotos des Artikel aus der Pharmazeutischen Zeitung 1891: Elisabeth Huwer, Deutsches Apotheken-Museum.
Foto der Nithack´schen Waage: Claudia Schäfer, Mannheim