Etwa aus der Zeit der 1920er bis 1930er Jahre stammt ein „Antidotarium Silbe“ der Firma Dr. Ernst Silten in Berlin mit Injektionspräparaten zur Behandlung von akuten Vergiftungen. Vorhanden sind oder waren je zwei Ampullen Strychnin, Coffein, Aquocamphol, Methylenblau, Natriumthiosulfat sowie Calcium-
gluconat. Das dunkelbordeaux-farbene Kunstleder-Futteral ist innen mit silbergrauem Samt ausgekleidet. Deckel und Innenfächer sind mit Silberprägung beschriftet. Im Innendeckel findet sich die Anweisung für den Gebrauch der einzelnen Präparate.
Hinter diesem Objekt verbirgt sich die Geschichte des in Königsberg geborenen jüdischen Wissenschaftlers und Pharmazeuten Dr. Ernst Silten (Silberstein, 1866 bis 1943). Ernst Silberstein übernahm 1899 die damalige Kaiser-Friedrich-Apotheke in der Berliner Karlsstraße (heute Galenus-Apotheke, Rheinhardtstraße). 1918 änderte er den Nachnamen seiner Familie in »Silten«.
Neben seiner Apotheke wurde Silten vor allem durch sein 1919 begründetes Unternehmen „Sauerstoff Centrale für medizinische Zwecke Dr. Ernst Silten“ bekannt. Er entwickelte und produzierte chemisch-pharmazeutische Präparate sowie pharmazeutische und medizinische Geräte. Bedeutend wurden vor allem Produkte aus dem Bereich der Inhalationstherapie, wie etwa der handliche Medi-
kamentenvernebler „Atmos“.
1929 übernahm sein Sohn Dr. Fritz Silten die Apotheke. Doch mit der Machtübernahme des NS-Regimes trafen dessen antijüdische Maßnahmen auch die Familie Silten. 1936 musste sie die Apotheke zwangsverkaufen. 1938 wurde auch die Fabrik geschlossen und übernommen und schließlich 1941/42 unter dem neuen Firmennamen »Atmos« nach Freiburg im Breisgau verlegt.
1938 flüchteten die meisten Mitglieder der Familie in die vermeintlich sicheren Niederlande, von wo sie jedoch 1943 nach Westerbork deportiert wurden.
Ernst Silten selbst war in Berlin glieben, wo er seine Forschungen wohl noch einige Jahre weiterführen konnte. Als er, 77-jährig, 1943 von seiner bevorstehenden Deportation erfuhr, nahm er sich das Leben.
Ernst Siltens Frau Marta beging 1943 in Westerbork vor ihrer Weiter-
deportation nach Auschwitz ebenfalls Selbstmord. Doch ihre Söhne Heinz und Fritz Silten sowie dessen Frau Ilse Silten-Teppich und Tochter Ruth Gabriele Sarah Silten, die 1944 nach Theresienstadt verbracht wurden, überlebten den Holocaust und konnten nach Kriegsende befreit werden.
2008 und 2010 wurden im Rahmen des Projekts „Stolpersteine in Berlin“ Stolpersteine zum Gedenken an Ernst und Marta Silten vor der Galenus-Apotheke in der Rheinhardtstraße 5 sowie für Fritz Silten und seine Familie in der Knesebeckstraße 28 (seinem heute nicht mehr stehenden Wohnhaus) gesetzt.
Text und Foto: Claudia Sachße, Deutsches Apotheken-Museum
Quellen:
Stolpersteine Berlin – Fritz Silten
Weiterführende Literatur:
Frank Leimkugel, Wege jüdischer Apotheker - Emanzipation, Emigration und Restitution: die Geschichte deutscher und österreichisch- ungarischer Pharmazeuten, 1999, Frankfurt a. M.