1744 erteilte Friedrich II. von Preußen dem Apotheker Heinrich Hagen (1709-1772) das Privileg für die Adler-Apotheke in der kleinen ostpreußischen Stadt Schippenbeil (Sępopol, Ermland-Masuren).
Eine im Jahr 1790 ausgefertigte und beglaubigte Abschrift des Originals kam 2022 als Schenkung an das Deutsche Apotheken-Museum – wohl als letztes heute erhaltenes Dokument der Historie dieser Apotheke. Das unscheinbare Schriftstück führt uns in die Geschichte der in Königsberg (Kaliningrad) bedeutenden Pharmazeuten- und Gelehrtenfamilie Hagen.
Die einfach gehaltene handschriftliche Urkunde mit zwei Faltblättern ist – bedingt durch ihre wechselvolle Geschichte – in einem relativ schlechten Zustand erhalten (Inv.-Nr. VII A 2327). Eine Restaurierung, 2023 ermöglicht durch den Förderverein Deutsches Apotheken-Museum e.V., konnte das Objekt jedoch sichern.
Die komplexe Genealogie der weitverzweigten Familie Hagen reicht zurück bis nach Franken, Thüringen und Lübeck. Seit dem 17. Jh. sind bereits Mitglieder der Familie Hagen als Ärzte und Apotheker in Ostpreußen und auch in Schippenbeil belegt. Große Bedeutung erlangte u.a. Karl Gottfried Hagen (1749-1829), Hofapotheker, Universalgelehrter und Begründer der wissenschaftlichen Pharmazie als akademisches Fach. Doch hier blicken wir vor allem auf den Lebensweg seines Vaters.
Heinrich Hagens Vater kam als Buchbinder aus Lübeck nach Schippenbeil. Nachdem seine Eltern bereits ein Jahr nach seiner Geburt 1710 bei einem Pestausbruch starben, wurde Heinrich von seinem Onkel Gottfried Stendel (1672-1737) erzogen – er war Apotheker, Ratsherr und Richter in Schippenbeil. Stendel hatte bei seinem Schwager Johann Georg Hagen (1649-1693) gelernt, hier finden sich wohl erste Informationen zur Adler-Apotheke Schippenbeil. Nach seinem Tod ging die Apotheke auf Stendel über.
Stendel ließ seinen Neffen Heinrich Hagen in den Hofapotheken von Thorn und Königsberg ausbilden, nach dem Studium in Berlin legte dieser die Prüfung ab. Zwischen Königsberg und Schippenbeil bestanden bereits enge Verbindungen. Der Königsberger Hofapotheker Johann Georgesohn (1694-1752) hatte 1709 bei Stendel seine Lehrzeit absolviert, Georgesohns Gattin war eine Verwandte der Stendels und Hagens.
1728 kehrte Heinrich Hagen in die Apotheke des Onkels zurück. Schon mit 19 Jahren stand er ihr als Verwalter vor. Nach Stendels Tod 1737 gingen die Adler-Apotheke und sein nicht geringes Vermögen auf Hagen über. 1744 erbat er und erhielt für diese von König Friedrich II. ein „Privilegium privativum“. Demnach sollte die zweite damals noch bestehende Apotheke in Schippenbeil nach Ableben des damaligen Besitzers Drewke geschlossen werden und die Hagen’sche die einzige Apotheke im Ort bleiben: „daß … Wir … eine Medicin-Apotheke zu Versorgung der Stadt Schippenbeil und der dortigen Gegend vor zureichend halten, anbey auch der Meinung sind, daß 2 Apotheker an diesem kleinen Ort nur einander ruiniren würden“.
Bereits 1738 hatte Hagen Marie Elisabeth Georgesohn geheiratet, die Tochter des Königsberger Hofapothekers Georgesohn. Geboren 1723, war sie bei ihrer Heirat nicht einmal 15 Jahre alt und mit Hagen entfernt verwandt. Die ersten Ehejahre lebte die Familie in Schippenbeil. Die ältesten vier ihrer 12 Kinder wurden dort geboren. Hagen genoss hohes Ansehen in seiner Stadt und wurde auch zum Ratsherren gewählt. Doch bald wurden dem wissenschaftlich ambitionierten Apotheker die Möglichkeiten in seinem Ort zu gering. 1746/47 kaufte er Königsberger Hofapotheke von seinem Schwiegervater und zog mit seiner Familie nach Königsberg.
1754 wurde er dort zum Assessor am Collegium Medicum ernannt, 1757 zum „Königlich Preussischen Hofapotheker“. Er hielt chemische Experimentalvorträge an der Königsberger Albertus Universität. Damit begann eine Verbindung der Apothekerausbildung in Königsberg mit der Universität.
Fortgeführt und entscheidend ausgebaut wurde diese von Heinrich Hagen eingeleitete universitäre Apothekerausbildung in Königsberg von seinem Sohn Karl Gottfried Hagen. Er lernte erst bei seinem Vater den Apothekerberuf, studierte dann in Königsberg an der Medizinischen Fakultät und in weiteren Fachrichtungen. Zu seinen Lehrern zählte unter anderem Immanuel Kant, mit dem ihn später eine enge Freundschaft verband.
Nach dem Tod des Vaters 1772 musste Hagen das Studium abbrechen und übernahm mit 23 Jahren die Königsberger Hofapotheke. 1773 legte er vor dem Berliner Collegium Medicum – u.a. vor Valentin Rose d.Ä. und Martin Heinrich Klaproth – seine Apothekerprüfung ab. Nach der Promotion unterrichtete er Chemie, Botanik und Zoologie an der Universität. Mangels eines universitären experimentell-chemischen Laboratoriums holte er die Studenten in die Hofapotheke und richtete in den Kellerräumen ein solches für die Lehre und Grundlagenforschung ein. Hagen hob in den folgenden Jahren den Experimentalunterricht in Chemie und Pharmazie auf ein gänzlich neues wissenschaftlich-rationelles Niveau und etablierte sie als eigenständige akademische Disziplin.
Bis in die 1930er Jahre blieb die Hofapotheke Königsberg in Familienbesitz.
Im Gegensatz zur Geschichte der Hagens in Königsberg ist das weitere Geschehen um die Schippenbeiler Adler-Apotheke nach dem Weggang Heinrich Hagens aus den Quellen kaum noch nachzuvollziehen. 1904 übernahm Apotheker Axel Baumm die Apotheke, die bis zum Ende ihres Bestehens 1945 in Familienbesitz blieb.
Die vorliegende Privileg-Abschrift stammt aus dem Nachlass dieser letzten Apothekerfamilie Baumm. Es ist das einzige historische Zeugnis der Apotheke, das während des 2. Weltkrieges gerettet und erhalten werden konnte.
Das Gebäude, an der Nordostecke des Markplatzes von Sępopol gelegen, existiert heute noch. Ein Foto von ca. 1900-1914 zeigt das Apothekenhaus noch mit dem Schriftzug „Königl. / priv. Apotheke“, in der Mitte über dem Eingang ein Adler mit geöffneten Flügeln als Wahrzeichen.
Text: Claudia Sachße
Literatur/Quellen:
Apotheker-Zeitung 1940, 19.11., 913.; Deutsche Apotheker-Zeitung 1944, 5.4., 111.
P. Dilg, Hagen, Karl Gottfried. In: W.-H. Hein / H.-D. Schwarz (Hrsg.), Deutsche Apotheker-Biographie Bd. I, A-L (1975) 240f.
S. Hagen, Dreihundert Jahre Hagen'sche Familiengeschichte. Zusammengestellt auf Grund vorhandener Familienbücher, Akten, Dokumente und der Stammliste der ostpreussischen Familie Hagen (1938).
H. M. Mühlpfordt, Carl Gottfried Hagen und seine Hofapotheke. Königsberger Leben im Rokoko: bedeutende Zeitgenossen Kants (1981) 53-72.
Nachrichten aus Schippenbeil. 2 Jahrhunderte im Dienste der leidenden Menschheit. 200jähriges Bestehen der Adler-Apotheke Schippenbeil. Bartensteiner Zeitung, Mai 1944 (ohne Nr., ohne Seite).
E. Neumann-Redlin v. Meding / J. v. Meding, Karl Gottfried Hagen (24.12.1749-02.03.1829) und die wissenschaftliche Pharmazie an der Albertus Universität in Königsberg/Preußen. In: Geschichte der Pharmazie 3/4, 1999, 53-59.
H.-D. Schwarz, Hagen, Johann Heinrich. In: W.-H. Hein / H.-D. Schwarz (Hrsg.), Deutsche Apotheker-Biographie Bd. I, A-L (1975) 239f.
H. Valentin, Die Entwicklung des ostpreußischen Apothekenwesens (1928) 42, 45.
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