Produktkatalog oder Bauanleitungen? In jedem Fall ein Schwergewicht ist ein Band der ehemaligen Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Karlsruhe (Baden): „Machines tot de Opium-Verpakking, Systeem Huizer“. Er enthält Schnittzeichnungen von Maschinen zur seriellen Herstellung von Salbentuben aus der Zeit um 1896 bis 1898.
Bei einer Höhe von 49,5 cm und einer Breite von 36 cm sind Rücken und Deckel mit dunkelbraunem Leinen gebunden, der Vorderdeckel nennt in Golddruck Hersteller und Titel.
Der Katalog führt uns in ein spätes Kapitel niederländischer Kolonialgeschichte.
Konsum und Missbrauch von Opium waren Jahrhunderte lang auf Java (ehemals Niederländisch-Indien, Indonesien) sowohl in der indigenen als auch chinesisch-stämmigen Bevölkerung präsent. Es galt als Wachhaltemittel, zur Regeneration der Kräfte, Aphrodisiakum und Allheilmittel – gebraucht als Rauschdroge oder Arzneistoff.
Produkte und pharmazeutische Präparate mit höherem Morphingehalt wurden für Wohlhabende produziert. Günstiger waren minderwertige Opium-Tabak-Produkte.
Opiumhandel in den niederländischen Kolonien
Den vormals durch China dominierten Opiumimport auf Java löste im 17. Jahrhundert das Importmonopol der niederländischen Ostindien-Kompanie ab. Der Binnenhandel blieb vorerst in der Hand einheimischer Chinesen, doch deren „Opiumfarmen“ und der Schwarzmarkt wurden bald eliminiert. Mit Einrichtung der „Opiumregie“ der niederländischen Kolonialregierung unter dem Kolonialminister Wilhelm Karel van Dedem (1839 bis 1895) wurden ab 1891 Verarbeitung und Ausgabe von Opium sowie die Vergabe von Rezepten für pharmazeutische Opiumpräparate zentralisiert und mit maschineller Serienproduktion modernisiert.
Salbentuben aus einer Karlsruher Waffenfabrik
Erstmals 1893 bestellte van Dedem bei der Deutschen Metallpatronen- fabrik Karlsruhe (ab 1896: Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG) Maschinen des Typs „Huizer“ zur Produktion von Salbentuben für eine opiumhaltige Wundsalbe – geordert zum Export für eine neue, moderne Opiumfabrik in Batavia (Jakarta).
Aus diesem Kontext stammen höchstwahrscheinlich diese als Katalog gebundenen Lichtpausen. Sie enthalten doppelblattgroße Pläne von Maschinen zur Herstellung und Befüllung von Salbentuben aus Zinn im Maßstab 1:1 bis 1:10. Ein großformatiger, mehrfach gefalteter Plan zeigt den Aufbau eines Opiumröstapparats (180 x 63 cm, 1:5). Auch Maschinen zum Verpacken von Tikee (Rohopium) sowie Tabakschneidemaschinen sind enthalten.
Fotografien dieser Opiumfabrik in Batavia aus dem frühen 20. Jahrhundert, erhalten im Wereldmuseum Amsterdam, zeigen die Maschinen vom Typ „Huizer“ sowie Arbeiter beim Verpacken kleinster Tuben – vielleicht mit Opium-Wundsalbe.
Die Einkünfte aus dem Opiumvertrieb auf Java bildeten lange einen erheblichen Anteil an der Finanzierung der Kolonialbehörden. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Produktions- und Abgabemengen von Opium nach und nach gezielt stark reduziert – durch veränderte Gewohnheit der lokalen Bevölkerung und als Reaktion einer vermehrten Ethik-Diskussion innerhalb der Kolonialregierung und in den Niederlanden selbst.
Ungewöhnliche Darreichungsform
Das Verabreichen von Opium in einer Salbe (Unguentum Opiatum) ist eine eher seltene Darreichungsform. In der Pharmacopoea Nederlandica ist sie ab der Ausgabe 1889 nicht (mehr?) verzeichnet.
Zieht man Deutschland als Vergleich heran, ist Unguentum Opiatum in der Pharmacopoea Germanica 1872 enthalten; auch einige Regional- pharmakopöen und pharmakologische Abhandlungen über das Opium führen sie. Später ist sie nicht mehr im Arzneibuch für das Deutsche Reich verzeichnet, nur in den Ergänzungsdrucken des Deutschen Apotheker-Vereins. In welchem Kontext und Umfang diese Salbe am Herstellungsort verabreicht wurde, ließ sich bislang nicht ermitteln.
Im Karlsruher Werk produzierte man also von 1893 an neben Rüstungsmaterial auch für den zivilen Bereich, unter anderem serielle Verpackungssysteme für Pharmazeutika und Kosmetika. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte eine völlige Abkehr von der Rüstungsproduktion.
Heute befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Munitionsfabrik das Karlsruher „Zentrum für Kunst und Medien“.
Den Ankauf dieses ungewöhnlichen wie spannenden Objekts unterstützte der Förderverein Deutsches Apotheken-Museum e.V.
Literatur
50 Jahre Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken Aktiengesellschaft (1939); 125 Jahre IWK Verpackungstechnik GmbH / 1893-2018 (2018).
Derks, H., History of the Opium Problem (2012).
Rush, J. R., „Opiumfarmen“ auf Java in der Kolonialzeit. In: Völger, G., (Hrsg.), Rausch und Realität, Drogen im Kulturvergleich (1981) 568-571.
Rush, J. R., Opium to Java (1990) 199-220.